Der Lehrling mit der eins

Publish date: 2024-12-09

Michael Rensing hatte schon geahnt, dass er wieder nur die Nummer zwei sein würde. Sein junges Tor­wart­leben bestand ja nur aus Warten, Trai­nieren und wieder Warten, und jetzt ver­kün­dete der Trainer des FC Bayern ohne Sen­ti­men­ta­li­täten, Rensing sei »wei­terhin die Tor­wart der Zukunft«. Und diese Zukunft müsse jetzt leider warten. Rensing hat das mit der Zukunft kurz geschmei­chelt, dann gab er zu: »Auf Deutsch gesagt ist das eine Scheiß-Situa­tion.«

Im April 2007 ist das gewesen, die Bayern hatten gerade mit dem Reser­ve­tor­wart Rensing und dem Trainer Hitz­feld ein 2:2 in Mai­land geholt. Der damals 22-jäh­rige Tor­wart zeigte zwei fan­tas­ti­sche Reflexe, und spät abends scharte sich eine Repor­t­erschar im Sou­ter­rain des Team­ho­tels um Rensing, der auf einer antiken Bank einen erd­ver­bun­denen Ein­druck machte. Knapp andert­halb Jahre später wirkt er noch immer so, wenn man mit ihm spricht, ist man jeden­falls ganz froh dar­über, dass er sich nicht alles abge­schaut hat von einem, der später sein Vor­bild gewesen ist: Der junge Oliver Kahn, der eins­tige Welt­keeper.

Kahns großer Schatten

Vor ein paar Wochen ist Kahn in Fuß­ball­rente gegangen. Aber jetzt ist er plötz­lich wieder all­ge­gen­wärtig. Nach dem desas­trösen Münchner 2:5 gegen Bremen sind alle Gurus der deut­schen Tor­wäch­ter­zunft ange­rufen worden, Stein und Schu­ma­cher und Maier sollten sagen, ob und wie lange das gut gehe mit Rensing als Kahns Erbe. Der 24-Jäh­rige hatte zur epo­chalen Pleite einen Fang­fehler und wenig Sou­ve­rä­nität bei­getragen. Sepp Maier, der mit Kahn in Pen­sion gegangen, ist natür­lich befangen gewesen, er hat auch Rensing viele Jahre trai­niert. Und doch klang das ganz ver­nünftig, als er sagte, man solle »dem Michael mal Zeit geben, der Olli hat in seiner ersten Saison auch nicht gerade geglänzt«.

Rensing, das werde der neue Kahn, er müsse eben nur warten, das haben die Münchner stets erzählt. Vor allem Rensing. Sie haben letzt­lich Wort gehalten, und Rensing hat vorige Woche in Buka­rest erzählt, wie gut es ihm gehe. »Das ist ein geiles Gefühl, Nummer eins zu sein, für mich ist ein Traum in Erfül­lung gegangen«, sagte er in einem zugigen Inter­view­zelt. »Jetzt geht es erst richtig los.«

Mit seiner jugend­li­chen Euphorie hatte Rensing bereits in Buka­rest ein paar Unsi­cher­heiten über­gangen; er lie­ferte für jede Szene eine Erklä­rung und ergänzte, es gebe »eher keinen Gesprächs­be­darf«. Und natür­lich ist das nun sehr unfair, Rensing ins Zen­trum der Debatten um den sehr wech­sel­haft in die Saison gestar­teten Meister zu rücken. Denn er kann es ja gar nicht richtig machen – es sei denn, er hielte wie der beste Kahn.

Zu hohe Ansprüche der Öffent­lich­keit

Doch Rensing soll den Bayern schon jetzt Spiele retten. Doch wer die Unsi­cher­heiten beob­ach­tete, die das ver­än­derte Spiel­system von Trainer Jürgen Klins­mann selbst beim 1:0 in Buka­rest aus­lösten, erkennt die gewal­tige Auf­gabe, die er zu bewäl­tigen hat: Er, der Neu­ling, der sich gerade ans Ram­pen­licht gewöhnt und der seit Sommer 2002 allen­falls bei der Regio­nal­liga-Reserve kon­stant Spiel­praxis erhielt – er soll sofort in sich ruhend einer neu for­mierten Deckung vor­stehen? Nein, das geht wohl nicht.

Rensing braucht Zeit, wie auch die neuen Bayern Zeit brau­chen. Zeit, die für beide begrenzt ist. Nie­mand weiß ja wirk­lich, was dieser Michael Rensing kann. Mit 16 Jahren ver­ließ er seinen nie­der­säch­si­schen Hei­mat­verein TuS Lingen und rückte ins Bayern-Internat ein. Vor allem das direkte Duell mit dem Stürmer gilt seitdem als seine Stärke, das Her­aus­laufen trotz 188 Zen­ti­me­tern Länge weniger. Maier und Kahn, mit denen er stets trai­nierte, haben trotzdem ständig nach oben in die Vor­stands­etage über­mit­telt: Der Rensing, der könne das schaffen.

Doch inzwi­schen hat sich etwas ver­än­dert im Land der Tor­hüter, der Mann im Kasten ist als elfter Feld­spieler ein­ge­plant. Etwas weniger Kahn­sche Kraft liegt im Trend, Rensing könne des­halb in punkto Geschmei­dig­keit zulegen, heißt es in Mün­chen. Auch des­halb hatte sich ja Klub­coach Klins­mann als Bun­des­trainer vor der WM 2006 für Jens Leh­mann und gegen Kahn ent­schieden: Er erschien ihm als der moder­nere 38-Jäh­rige.

Noch nicht die Aus­strah­lung

Die Lehr­jahre unter Kahn hat Rensing nun hinter sich. Und vor sich stets Kahns Schatten. Rensing schreit im Spiel viel, wie einst Kahn, »des­halb bin ich danach immer heiser«. Samstag gegen Bremen haben aber Mit­spieler ihn ange­schrieen. Das hätte es bei Kahn nie gegeben, haben sie im Fern­sehen ange­merkt und genüss­lich die Zeit­lupe gezeigt. Im Trai­ning wollen die Kol­legen das viel­leicht wieder gut machen, sie reden viel mit ihm. Und Kapitän Mark van Bommel ruft ihm nach einem pro­fanen Quer­pass zu: »Gut gespielt, über­ra­gender Tor­wart!«

Ver­mut­lich sollte Rensing ver­su­chen, weniger Kahn zu sein. Son­dern etwas mehr Rensing. Bay­erns Tor­wart­trainer ist jetzt Walter Jung­hans, 49, wegen dessen Arbeits­stil Rensing vor Monaten mal in der Vor­stands­etage Rück­sprache hielt. Es ist da eben zur­zeit recht viel zu ver­ar­beiten für einen jungen, ehr­gei­zigen Tor­wart, der auf der Münchner Bank mit­an­sehen musste, wie in Lever­kusen der Jüng­ling René Adler den gestan­denen Jörg Butt ver­drängte und in Schalke Manuel Neuer Vor­gänger Frank Rost.

Butt, 34, ist neu­er­dings zweiter Mann bei Bayern. Er hält sich kei­nes­wegs für die Zukunft. Aber er ist da.

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